Happy End für die Zwillinge Laura und Emily

Datum: 22.06.2016 | Kategorie(n): News, Stories

Nach einer für Zwillinge problemlosen Schwangerschaft entband ich meine eineiigen Zwillinge Laura und Emily wie geplant in der 39. Schwangerschaftswoche. Alles sagten mir, dass die Mädchen sehr süß seien und dass sie so wundervolle Augen hätten. Es wären so richtige Püppchen. Die Mädchen waren kerngesund, hatten keinerlei Anpassungsschwierigkeiten und ein vollkommen akzeptables Gewicht. Unser Glück war perfekt. Endlich waren wir komplett, eine vierköpfige Familie.

 

Unser Tag, an dem die heile Welt anfing aus dem Ruder zu laufen, war der 24. November 2012. Meine Mädchen waren da gerade 9,5 Monate alt. Ein paar Tage vorher hatte ich etwas in Lauras linken Auge blitzen sehen, einmal, so schnell, so blitzartig, dass ich es nur für einen schrägen Lichteinfall gehalten habe. Am Samstag, den 24. November 2012, am Geburtstag der Oma, saß Laura bei meiner Schwester auf dem Schoß und spielte Hoppe Hoppe Reiter. Auf einmal hörte ich, wie meine Schwester meiner Mutter in der Küche sagte: „Mama, ich habe da was im linken Auge gesehen, einen gelben Schimmer. Ihr müsst sofort zum Arzt.“ Sie habe in einer Zeitschrift (Spiegel, Stern oder was auch immer) einen Artikel über einen seltenen Tumor im Kleinkindalter gelesen, der sich im Auge genauso bemerkbar machen würde. Ich weiß noch, dass ich widersprach: „Ach Quatsch, wir haben bisher alle U-Untersuchungen wahr genommen, vor 6 Wochen bei der letzten U hat der Kinderarzt noch beiden Kindern in die Augen geschaut.“

 

Und ich hatte in irgendwelchen Schwangerschaftsratgebern damals gelesen, dass dieses Leuchten permanent zu sehen sein sollte, und vor allem auch auf Fotos. War bei uns aber nicht so … dachte ich zumindest…. Da sowohl meine Schwester und meine Mutter mich über das Wochenende immer weiter bedrängten Montag, doch bitte den Kinderarzt anzurufen, habe ich es letztendlich gemacht. Damit sie Ruhe gaben… damit wir dann doch die Gewissheit haben, dass da NICHTS ist…..Der Termin war dann am Donnerstag morgen, den 29.11. Natürlich hat der Kinderarzt mit seiner harmlosen Leuchtlampe nichts sehen können. Später hat er uns gesagt, er habe das Wort „Retinoblastom“ nie vorher gehört, hatte allerdings noch von seinem Studium die Erinnerung, dass der Professor gesagt habe: „Sollten mal Eltern zu Ihnen kommen, mit genau diesen Symptomen, schicken Sie sie SOFORT zum Augenarzt“. Er stellte uns eine Überweisung zum Augenarzt aus mit dem Vermerk „Untersuchung auf Netzhautveränderung“.

 

Von jetzt an ging alles sehr schnell. Die Augenärztin sah im normalen Zustand nichts im Auge. Sie tropfte beide Pupillen weit und dann sah sie „es“: „Eine gelbliche Substanz im linken Auge, neben dem Sehnerv, die da nicht hingehört!“ Dann: „Ich muss euch zur nächsten Uni-Klinik überweisen.“ Kein Wort von Augenkrebs, schon gar nicht von Retinoblastom. Aber nachdem sie mit der Uni-Klinik am Telefon gesprochen hatte, kam sie nicht zu uns zurück. Eine der Sprechstundenhilfen kam zu uns und gab uns einen Zettel mit dem Termin in der Uniaugenklinik Bonn, am 30.11. Wir sollten uns keine Sorgen machen und am nächsten Tag da einfach hingehen. Und am Besten die Zwillingsschwester mitnehmen. Als wir rausgingen und ich die Augenärztin in einer stillen Ecke gesehen hab, dem Publikumsverkehr den Rücken kehrend, begann ich zu verstehen, dass der Ausdruck „keine Sorgen machen“ nur eine Floskel war.

 

Nach einer unruhigen Nacht fuhren meine Mutter und ich – mein Mann musste arbeiten – nach Bonn in die Augenklinik. Zahlreiche Untersuchungen folgten: Eine Ärztin schaute in die weitgetropften Augen, ein Ultraschall am Auge des wachen Kindes, eine Untersuchung durch die Oberärztin und ein erster Sehtest folgten. Dann kam die Aussage, die ich Bonn immer übel nehmen werde: „Wir müssen Ihre Tochter am Montag unter Vollnarkose untersuchen, um eine zuverlässige Aussage zu treffen. Es ist höchstwahrscheinlich ein kleine Netzhautablösung. Nehmen Sie eine Tasche mit Sachen für sich und die Kleine. Wenn wir es beheben können, werden Sie über Nacht bleiben müssen.“ Diese Aussage habe ich genau 10 Minuten geglaubt, bis zu dem Moment, an dem ich beim Warten auf das Aufklärungsgespräch der Anästhesie in Lauras Akte: „vermutlich gelber Tumor im linken Auge“ gelesen habe. Ich frage mich heute noch, warum sie, wenn sie es eh schon wussten, uns nicht direkt nach Essen überwiesen haben, sondern uns Montag nochmal haben antanzen lassen.

 

Montag war dann die Narkose in Bonn. Nach ca. 1 Stunde kam eine Assistenzärztin zu uns und eröffnete uns, dass Laura ein linksseitiges Retinoblastom habe. Das sei ein bösartiger, schnellwachsender Tumor. In dem Moment stand ich am Abgrund. Der Sehnerv sei gesund. Sie würde wahrscheinlich Chemotherapie und Bestrahlung bekommen. Durch die Therapien würde sie auf dem betroffenen Auge das Augenlicht verlieren – dem Abgrund noch ein Stückchen näher… Und dann fiel ich ins Bodenlose: „Sie müssen die Zwillingsschwester auch untersuchen lassen. Es ist wahrscheinlich, dass sie es auch hat.“ Zu weiteren Untersuchungen und Behandlungen wurden wir in die Uni-Klinik nach Essen geschickt, die Fachklinik für die Patienten hier im Westen Deutschlands mit diesem Tumor. Also fuhren wir weiter, sobald Laura aus der Narkose erwacht war und etwas gegessen hatte.

 

Essen fing uns wieder auf und stellte uns nicht nur bildlich gesprochen wieder auf die Füße. Der dortige Assistenzarzt sagte uns den ersten aufbauenden Satz, nachdem er einen Kurzabriss unserer Geschichte gehört hatte: „Das ist mal endlich ein Fall, dessen Geschwindigkeit zwischen erstem Auffallen und letztendlich Ankommen hier in Essen (10 Tage), vorbildlich ist!“ Unseren ersten Narkosetermin hatten wir am nächsten Tag. Dr. Holdt, der damalige Facharzt, bestätigte den Befund des Retinoblastoms auf der linken Netzhaut. Der Tumor war zu dem Zeitpunkt 8,41mm groß und befand sich an der Nasenseite des Auges. So lag der Sehnerv frei. Alle Voraussetzungen einer augenerhaltenden Therapie waren gegeben. Er zeigte uns auf, dass der Tumor zuerst mit Chemotherapie behandelt werden würde, bis er klein genug wäre, durch die Brachytherapie (lokale Strahlenbehandlung durch einen Applikator) behandelt zu werden. Dies würde wohl etwa 3 Chemoblöcke dauern.

 

Diese erste Prognose wurde dann auch durch die Tumorkonferenz und ein MRT bestätigt. Da sich zu dem Zeitpunkt keine Spur eines weiteren Tumors zeigte, war der Arzt ziemlich sicher, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Emily als eineiiger Zwilling die Krankheit habe, etwas erhöht sei, und sie natürlich auch in naher Zukunft unter Narkose untersucht werden müsse. Aber da die Krankheit bisher noch nicht in unserer Familie vorgekommen war, sei es nicht sehr wahrscheinlich, dass Emily es auch habe. Bei der Zwischenuntersuchung vor Start der zweiten Chemo war es sicher, dass Lauras Tumor auf die Therapie reagierte. Der Tumor war schon fast halb so groß wie vorher. Und um unser Glück perfekt zu machen, bekamen wir die Nachricht, dass Emily gesund ist. Zur 1000%igen Sicherheit wurde noch eine Untersuchung in der Humangenetik angestoßen, die nach einem Jahr auch das Ergebnis des nichtvererbbaren Retinoblastoms hatte. Dies reduziert Emilys Risiko auf das eines ganz normalen Geschwisterkindes.

 

Vor jedem Chemoblock wurde Laura untersucht. Und der Tumor schrumpfte und schrumpfte. Bis vor der 4. Chemo keine Veränderung mehr festgestellt wurde. Nun war die Zeit der Brachytherapie gekommen. Wegen der Größe des Tumors, 4mm, blieben wir ziemlich genau 1 Woche in Isolation. Eine Zeit, die Laura nicht verschlafen hat, sondern wie zu Hause morgens wach wurde, spielte, aß, Streiche spielte, badete…. Eigentlich außer, dass sie nicht raus durfte, ein ganz normales Leben führte. Kam ein Arzt oder eine Schwester zu Besuch und vergaß die Tür zu schließen, rannte sie sofort zur Tür und schloss sie wieder. Eine Eigenart, die ihr noch bis heute erhalten geblieben ist.

 

Am 30.4.2013 war unsere erste Nachuntersuchung. Seitdem ist der Tumor zwar noch da, aber tot. Er rührt sich nicht mehr. Eine kurze Schrecksekunde gab es nochmal 10 Monate nach Diagnose. Da mussten wir ein kleines undefinierbares Etwas lasern und später noch per Kälte (Kryo) behandeln lassen, das auf der Netzhaut gefunden wurde. So klein, dass man es nicht per Ultraschall abbilden konnte und man nicht wusste, ob es jetzt nur ein Partikelchen des toten Tumors war (eine tote Abtropfmetastase) oder ein neuer Tumor war. Da wir zu dem Zeitpunkt immer noch auf das Ergebnis der Humangenetik gewartet haben, welche einen erneuten Tumor so gut wie hätte ausschließen können, wurde dieses „Etwas“ behandelt und seitdem ist Ruhe.

 

Seit dem 8. Juli 2014 ist der Port, der für die Chemoinfusionen operativ eingesetzt wurde, wieder draußen. Unsere Kinder leben beide ein ganz normales Leben einer Vierjährigen. Seit nun fast 2 Jahren, die erste Möglichkeit zum Einstieg, seitdem Laura den vollständigen Impfschutz hat, gehen sie in den Kindergarten. Im Herbst 2013 konnten wir unseren Traum vom Babyschwimmen verwirklichen… Oder soll ich eher sagen Kleinkinderschwimmen? Seit dem zweiten Geburtstag der Kinder gehe ich wieder arbeiten, mit einer halben Stelle. Soweit man heute feststellen kann, hat Laura bis jetzt keine Langzeitnebenwirkungen der Therapien.

 

Bei uns hat das Drama ein Happy End. Schnell war nach Ende der Therapie klar, dass die Schnellprognose aus Bonn, Laura würde durch die Therapie auf dem betroffenen Auge das Augenlicht verlieren, nicht zutraf. Essen hat davon übrigens nie gesprochen, nur als mögliches Risiko während der Brachytherapie. Im Dezember 2013 besuchten wir zum ersten Mal die Sehschule in Essen. Dann war es offiziell: Laura sah noch, und dank der guten Lage des Tumors auch relativ gut. Es war uns möglich durch tägliches Abkleben des gesunden Auges – 2 Stunden am Stück – das schlechtere Auge zu trainieren. Anfangs hatte sie damit Probleme. Hatte Angst beim Rutschen auf dem Spielplatz und beim Laufen auf Mauern. Aber man merkte, dass mit dem täglichen Training ihr Selbstvertrauen wuchs. Und dann kam mit der nächsten Kontrolle in Essen auch die nächste Sehschule. Es wurde eine deutliche Steigerung der Sehkraft festgestellt. Das Thema Brille wurde zuerst zurückgestellt, wir durften weiter Abkleben. Jeden Tag ….. ein halbes Jahr lang. Mittlerweile fädelte Laura Perlen mit Nadeln und Faden ein. Am Tag vor der Portentnahme kam es dann zum erlösenden Ergebnis: Bitte weiter abkleben, wir können jetzt auch zu Hause zur Sehschule. Seit Mitte September 2014 müssen wir nun nicht mehr abkleben. Beim Testen des 3-D-Sehens kam heraus, dass beide Augen nun gleich stark sind!!!! Diesen Sehtest, den hier wohl jeder kennt, bei dem man Bildchen an einer entfernten Wand erkennen soll (in ihrem Fall benennen), besteht sie mit Bravour. Sie erkennt Bildchen in einer Entfernung, in der ich nur erraten kann, was abgebildet ist. Und ich brauche keine Brille. Mittlerweile sind wir bei einem Kontrollabstand in Essen im Abstand von 5 Monaten angekommen. Nächstes Mal wird versucht, sie ohne Narkose zu untersuchen. Ich bin neugierig, wie gut das funktionieren wird!

 

Danke an Mutter Sonja für diesen schönen Beitrag!

 

22.06.2016 | News, Stories