Ina, Mutmacherin (MM) aus Aachen

Datum: 28.11.2021 | Kategorie(n): Mutmacher, News, Team
1991: das Jahr, was für mich, meine Familie aber wohl ganz besonders meine Eltern unvergessen bleiben wird….
Ich, Ina mittlerweile 38 Jahre alt, war damals 9 Jahre. Ich ging in die Grundschule und war wohl wie jedes Mädchen in diesem Alter ein gewöhnliches Kind, ich liebte rosa, alles was glitzert und ganz besonders Pferde. Meine 3 Jahre jüngere Schwester hatte eine starke Hornhautverkrümmung beider Augen und musste daher regelmäßig zum Augenarzt.
So gingen meine Eltern und wir an diesem einen Frühjahrstag wie schon öfters auch zu unserer Routineuntersuchung zum Augenarzt.
Doch dieses Mal war alles anders als sonst. Meine Eltern plötzlich ganz seltsam, sie sprachen von “irgendeinem Schatten auf der Netzhaut…muss sofort als Notfall in der Essener Uniklinik untersucht werden” und der Augenarzt plötzlich auch nicht mehr so fröhlich und zu Scherzen aufgelegt wie sonst. Er durchlöcherte mich mit seltsamen Fragen: “Siehst du irgendwie anders? Hast du Schmerzen beim sehen?” Ich musste überlegen, sollte ich etwa auch eine Brille kriegen? Rechts sah ich immer wie durch einen Vorhang, schwarze Pünktchen ab und zu…aber das war doch normal…das hatte ich doch immer schon?!
Am nächsten Tag fuhren wir direkt nach Essen in die Uniklinik, ich empfand das ganze als großes Abenteuer…
Doch an diesem Tag fiel die Diagnose die das Leben von uns allen auf ewig prägen würde…
“Unilaterales Retinoblastom”, ich weiß es noch wie gestern, nach einigen Untersuchungen saß ich am Maltisch auf der Kinderaugenstation, die Ärzte wollten mit meinen Eltern alleine sprechen…dann ging die Tür des Untersuchungsraumes auf, ich habe meine Eltern nie wieder im Leben so unfassbar traurig und verzweifelt gesehen…Sie nahmen mich in den Arm und erklärten mir, dass ich Krebs habe und mein rechtes Auge entfernt werden müsste. Bis dahin verstand ich allerdings immer noch nicht, warum meine Eltern so traurig waren-ich hatte doch noch ein Auge!
In der darauffolgenden Woche wurde ich operiert, ich erinnere mich an eine schöne Zeit!
Mama war den ganzen Tag für mich alleine da, keine Schule, nicht mal Hausaufgaben musste ich machen. Ich hatte andere Kinder zum spielen da, auch wenn die alle deutlich jünger waren als ich und ich durfte im Bett Fernseher gucken! Ich bekam Geschenke und Briefe von meinen Schulfreunden und alles drehte sich um mich!
Von den Ängsten und Vorwürfen die sich meine Eltern machten, bekam ich nichts mit!
Ich weiß, dass sich meine Eltern lange Zeit immer wieder gefragt haben, ob sie damals richtig gehandelt haben…alles ging so schnell, nach Diagnose und Enukleation lagen nicht mal 1Woche. Hätten sie sich noch eine Meinung einholen sollen? Hätte man das Auge erhalten können und erst einmal bestrahlen sollen?
Ich stehe voll und ganz hinter der Entscheidung meiner Eltern, das Auge musste raus! Sofort! Und das sage ich nicht nur als Betroffene, sondern auch als Mama und Krankenschwester!
Die positiven Erfahrungen die ich in Essen machen durfte, haben mich dazu gebracht Krankenschwester zu werden! Ich wollte das gute Gefühl, das ich in dieser schwierigen Zeit immer hatte weitergeben!
Und so arbeite ich auch heute noch in Aachen auf einer Intensivstation und versuche den Menschen in der vielleicht schwierigsten Zeit in ihrem Leben positiv entgegen zu sehen.
Was die Diagnose “Retinoblastom” mit einem als Angehöriger macht, habe ich in den letzten Jahren teilweise auch selber erleben müssen…die Zeit nach meiner Enukleation verlief gut, wir gingen halbjährlich zur Kontrolle beim Augenarzt, die Kinder in der Grundschule akzeptierten mich, wie ich war, sie kannten mich. Ich wurde von den Lehrern zuerst mit Samthandschuhen angefasst, doch die Schonfrist änderte sich schnell, als ich auf das Gymnasium wechselte. Ich ging auf eine reine Mädchenschule, wahrscheinlich auch mit dem Hintergedanken dort von Jungs nicht gehänselt zu werden. Doch auch auf dem Gymnasium hatte ich nie Probleme was das Äußere von mir angeht.
In der Pubertät kam dann eine Phase, wo ich mich selber nur schwer leiden konnte. Aber wer hat es schon leicht in der Pubertät? Auf allen Fotos die es von mir gab, wurde das Glasauge mit Edding schwarz gemalt, ich ertrug dieses Schielen auf den Fotos gar nicht. Ich gebe zu, bis heute bin ich kein großer Fan von Eigenportraits. Es gab in Discotheken die ein oder andere Bemerkung, die nicht schön war, allerdings meistens von Mädchen. Meinen Autoführerschein machte ich wie jeder ander 18jährige auch. Ich erhielt die ein oder andere Abfuhr von Jungs, die behaupteten, mit meiner Behinderung nicht umgehen zu können, oberflächliche Menschen, heute weiß ich, was ich davon  zu halten habe, aber ich kann euch raten, solche Menschen braucht man nicht!
Allen jungen Mädels da draußen, kann ich nur sagen: ihr seht schön aus so wie ihr seid! Und wer das nicht sieht, der hat an eurer Seite auch nichts verloren! Ich habe meinen Mann damals über das Internet kennengelernt, er modelt und ich dachte nur “den kriegt eine wie ich nie!” und was soll ich euch sagen? Wir sind seit 10Jahren glücklich verheiratet, meine Behinderung war nie ein Problem! Im Gegenteil, “eine mit 2Augen hat jeder, du bist anders, du bist etwas Besonderes!” . Und das sagt ein Mann, der die Schönsten Frauen aus seiner Branche haben könnte, aber er hat sich für mich entschieden…verzaubert von einem Zauberauge ;-)
Wir haben mittlerweile 2 Töchter (8 und 4Jahre), obwohl ich mich damals direkt humangenetisch untersuchen ließ, konnte man nie zu 100% ausschließen, dass mein Retinoblastom nicht vererbbar ist! So kam auch für uns direkt am Tag der Geburt die 1.Netzhautspiegelung für unser kleines Mädchen auf uns zu. Alles in Ordnung, sie ist gesund, ab jetzt mussten wir alle 3Monate in die Essener Uniklinik und die Spiegelung in Vollnarkose durchführen lassen. Und was soll ich euch sagen? Da ist man doch lieber Betroffener als Angehöriger! Ich habe so geweint und gezittert, meine Kleine abgeben zu müssen und nicht zu wissen was danach passiert! Diese Angst und Machtlosigkeit wünsche ich nicht mal meinem ergsten Feind! Ich muss zugeben, als Betroffener ist es leichter zu ertragen.
Nach der Untersuchung haben wir für uns entschieden, diese Untersuchungen in Aachen bei meinem Augenarzt durchführen zu lassen!
Er hat den Tumor damals bei mir entdeckt und er wird ihn auch bei meinen Kindern entdecken, so war und bin ich immer noch der Meinung. Wir haben die stille Vereinbarung, sollte er einmal nicht sicher ausreichend spiegeln können, oder auch nur der kleinste Verdacht bestehen, werden wir die Kinder wieder in Essen in Vollnarkose untersuchen lassen. Aber unser Arzt weiß wonach er sucht und bis heute ist alles unauffällig, ich vertraue meinem Lebensretter da zu 100%.
Allen Mamas und Papas, Omas und Opas, allen Angehörigen von kleinen und großen RB Kindern kann ich nur raten, macht euch keine Sorgen, Kinder sind soviel stärker als Erwachsene, alles was ihr in dieser für euch ausweglosen Situation tun könnt, ist für sie da zu sein, ihnen nach Möglichkeit ihre gewohnte Umgebung zu schaffen, sie zu behandeln wie vor der Erkrankung auch!
Dann werden sie ihren Weg gehen, ihre Träume verwirklichen und mit Zauberaugen einem Prinzen oder einer Prinzessin den Kopf verdrehen, denn alles ist möglich-auch das Unmögliche!

28.11.2021 | Mutmacher, News, Team