Interview mit dem Chef – Nikolaos Bechrakis im Gespräch mit der KAKS

Datum: 28.01.2020 | Kategorie(n): News, Stories

Er ist der Direktor der Augenklinik am Uni-Klinikum Essen. Mit Professur für Augenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Professor Dr. Dr.h.c. Nikolaos Bechrakis. Koryphäe auf dem Gebiet der Netzhautablösung und in der Onkologie des Auges. Klar, dass die KAKS mit ihm sprechen, ihn kennenlernen möchte. Kein Fragenhagel, sondern ein Gespräch, für das sich Bechrakis trotz intensiven Klinikalltags mit einer 60-Stunden-Woche Zeit nimmt.

KAKS: Herr Professor Bechrakis, bitte stellen Sie sich folgende Situation vor: Elternabend in der Klinik, die Mütter und Väter der RB-Patienten sind da, wollen Sie kennenlernen. Was würden Sie ihnen sagen?

Nikolaos Bechrakis: Ich würde den Eltern sagen, wer ich bin. Ich würde ihnen sagen, was ich mache. Ich würde ihnen sagen, wie ich arbeite.

KAKS: Entschuldigung Herr Professor, dass wir Sie gleich unterbrechen. Fragen wir konkreter: Wer sind Sie? Nikolaus Bechrakis (lacht): Verstehe. Ich bin Nikolaos Bechrakis. Verheiratet. Vater von zwei Söhnen. Ich habe Medizin studiert, in Homburg und in Berlin, wo ich 1995 promovierte und 2001 habilitierte. Und vier Jahre später zum Professor an der Charité berufen wurde. Im Rahmen meiner Weiterbildung war ich am Johns Hopkins Hospital in Baltimore und in Glasgow. Ich bin 1964 in der Schweiz geboren, aber in Griechenland aufgewachsen, habe die Deutsche Schule in Athen besucht. Darauf haben meine Eltern großen Wert gelegt. Deshalb spreche ich auch akzentfrei Deutsch. Ich habe die griechische und deutsche Staatsangehörigkeit.

KAKS: Sie sind über langjährige, leitende Stationen in Berlin und in Innsbruck nun im Ruhrgebiet gelandet. Warum Essen? Warum sind Sie dem Ruf hierher gefolgt?

Nikolaos Bechrakis: Das Klinikum hat mich kontaktiert. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich bereits zehn Jahre in Innsbruck tätig war. Ich hatte dort eine Lebensstelle. Doch der Wechsel erschien mir attraktiv genug, um in eine Hochburg der Ophthalmologie einzutreten. Sie müssen wissen, schon zu meiner Berliner Zeit haben die Oberärzte immer von Essen geredet.

KAKS: Wir sind immer noch beim Elternabend. Und Ihrem Vorstellungsgespräch. Die Runde will mehr erfahren, z. B. welcher Mensch in dem weißen Arztkittel steckt. Social skills sind auch in der Medizin gefragt, oder?

Nikolaos Bechrakis: Absolut. Und doch sage ich Ihnen, dass die medizinische Kompetenz für mich die wichtigste ist. Einfüh- lungsvermögen ist natürlich auch wichtig, steht jedoch an zweiter Stelle. Und ebenfalls unerlässlich ist ein respektvoller Umgang mit den Patienten und Mitarbeitern.

KAKS: Muss ein moderner Mediziner die kooperativen Stärken betonen – oder sind sie in Ihrer DNA?
Nikolaos Bechrakis: Ganz klar sind sie Teil meiner Persönlichkeit. Und in meiner DNA. Die bringe ich durch mein Elternhaus mit. Durch meine Erziehung. Diese Stärken sind sozusagen gelebt und sie bewähren sich, wenn es zu kritischen Situationen kommt.

KAKS: Und die Arbeit in einer Klinik bedeutet eben auch Stress…
Nikolaos Bechrakis: Natürlich. Aber wenn ich das nicht haben wollte …Mir war bewusst, dass die Arbeit hier in Essen hart werden würde. Die Augenheilkunde ist nicht die einfachste medizinische Fachrichtung. Hier kann es zu den kompliziertes- ten und dann auch stressigsten Fällen kommen. Es geht um das Auge, es geht manchmal um Leben und Tod. Da bin ich medizinisch und psychisch gefordert.

KAKS: Diese psychisch belastende Situation im Arzt-Patienten-Verhältnis, kennen Sie die auch von der anderen Seite? Nikolaos Bechrakis: Oh ja. Der Tod meiner Mutter war nicht einfach. Sie sterben zu sehen, war sehr schwer. Ja, ich kenne die andere Seite sehr gut.

KAKS: Eine Erfahrung, die bestimmt prägend ist. Und wichtig, wenn Sie heute als behandelnder Arzt mit Eltern sprechen, die um ihr Kind oder um das Augenlicht ihres Kindes bangen. Darüber wollen wir gleich noch mehr wissen. Doch zunächst ganz banal die Frage: Warum das Auge? Warum haben Sie sich als junger Mediziner für dieses Organ entschieden? Nikolaos Bechrakis: Da bin ich ganz einfach vorbelastet (lacht). Mein Vater war Augenarzt in Griechenland, wo er heute noch lebt. Meine Schwester ist übrigens auch Augenärztin. Sie praktiziert in Bonn.

KAKS: Als neuer Direktor der Augenklinik bringen Sie sicher neue Ideen mit nach Essen, die für die Mitarbeiter wichtig sind. Und für die Patienten auch. Welche sind das? Nikolaos Bechrakis: Ich sage Ihnen wie es ist: Ich werde mir den Klinikalltag eine Weile anschauen. Ich brauche die Expertise, um Abläufe zu verstehen und dann langsam zu verbessern wo meines Erachtens Bedarf besteht. Ich werde keine engen zeitlichen Horizonte setzen. Die ärztlichen und pflegerischen Fähigkeiten sind da – auf hohem Niveau. Das Umfeld sollte angenehm sein in diesem Hochleistungsbetrieb, der wir sind. Die infrastrukturellen Ressourcen – die könnte man schöner machen.

KAKS: Moment, da haken wir direkt nach. Und sind wieder beim Elternabend. Vielen mit ihren kranken Kindern warten- den Eltern fällt der – sagen wir mal – suboptimale Wartebereich durchaus auf. Sie streben da Verbesserungen an? Nikolaos Bechrakis: Wir sind hier in der Univ.-Augenklinik Essen in einem Verbund im Besitz der öffentlichen Hand. Da müssen wir dran bleiben, aber auch Geduld haben. Und: Wir wollen die Spitzenmedizin mit einem guten Kontakt zu den Eltern verbinden.

KAKS: Welche Rolle spielt da die Kinderaugenkrebsstiftung?

Nikolaos Bechrakis: Eine sehr große – im Team aus Betroffenen und Ärzten. Man kann Spitzenmedizin nicht rüberbringen, wenn der Patient nicht mitmacht. Die Stiftung kann da auf vielen Ebenen helfen; Informationen verbreiten, Eltern unterstützen.

KAKS: Das macht die Stiftung ja schon recht gut (lacht). Wir brauchen für Veränderungen in der Infrastruktur noch Geduld. Haben wir verstanden. Zeit ist ja ohnehin ein wichtiger Faktor – bei allem. Welche Bedeutung hat Zeit, die oft nicht da ist, in einem Klinikalltag?

Nikolaos Bechrakis: Sie spielt eine große Rolle. Kinder und Eltern haben ein großes Gespür dafür, ob man 100 Prozent bei ihnen ist. Oder ob man unter Zeitdruck steht. Aber ich sage Ihnen: Egal ob man 5, 15 oder 50 Minuten mit einem Patienten verbringt, diese Zeit gehört mit vollster Konzentration und Aufmerksamkeit ihnen und der Auseinandersetzung mit ihrem individuellen Problem.

KAKS: Angst vor Routine?

Nikolaos Bechrakis: Routine ist sogar wichtig. Dabei darf man natürlich nicht den Blick für‘s Neue verlieren. Man muss den Ausreißer in der Medizin erkennen. Deswegen ist ein Fundament von Standards wichtig. Wir haben jeden Morgen Bespre- chungen. Das sind routinierte Abläufe. Wir besprechen, was wichtig ist. Die Art und Weise wie man das gestaltet, kann mannigfaltig sein. Ich plädiere für eine Kommunikationskultur, die einfach, transparent und ohne Angst ist.

KAKS: Klingt super. Ohne Angst? Das ist schon anderswo für viele ein Problem. Aber in der Medizin? Hier ist der Fehler vielleicht immens…


Nikolaos Bechrakis: Stimmt. Aber wir müssen darüber reden. Und nicht die Bestrafung fürchten, sondern die Verbesserung anstreben. Mit Zeit und Pflege lässt sich ein Betriebsklima verändern. Und über allem steht eins: Der Patient ist immer der Chef.

KAKS: Und wie ist Essen, wie ist Ihre Abteilung für „den Chef“ aufgestellt?


Nikolaos Bechrakis: Perfekt. Interdisziplinär perfekt. Anders geht es nicht. Im Verbund erreichen wir für die Patienten maßgeschneiderte Therapien.

KAKS: Was sind Ihre medizinischen Träume?

Nikolaos Bechrakis: Ich habe 1998 die Protonentherapie in Deutschland mit eingeführt. Jetzt bin ich dabei, gemeinsam mit Frau Professor Timmermann die Bestrahlung mit Protonen auch hier in Essen am Auge anzuwenden. Ab 2019 wird die Bestrahlung von Augentumoren auch bei Erwachsenen eingeführt. Eines meiner großen Ziele ist es, die Überlebenschancen erwachsener Melanom-Patienten zu verbessern. Bei Kindern ist sie ja sehr gut. Bei Erwachsenen haben wir in den letzten 20 Jahren viel erreicht was Auge- und Seherhalt betrifft. Wir müssen aber auch die Überlebenswahrscheinlich- keit verbessern. Das geht nur über ein grundlegendes Verständnis der Biologie der Tumorzellen. Weitere Forschungen und interdisziplinäres Arbeiten werden die Wahrscheinlichkeit der Metastasierung und des dadurch resultierten Todes verringern.

KAKS: Gibt es den einen Fall in ihrer medizinischen Laufbahn, der Sie nicht verlässt und Ihnen, wenn Sie gefragt werden, sofort in den Sinn kommt?


Nikolaos Bechrakis: Ja. Ein RB Patient, den ich zum ersten mal kurz nach seiner Geburt in Berlin vor über 20 Jahren behandelt habe. Eine der spannendsten Situationen und eines der größten nach-onkologischen Probleme, die ich je zu lösen hatte. Der Junge – er ist heute 23 Jahre alt – kam mit einem bilateralen Retinoblastom auf die Welt. Wir haben ihn behandelt; ein Auge musste entfernt werden, das andere wurde erfolgreich bestrahlt und durch Chemotherapie behandelt. Ca. 15 Jahre später, als ich in der Univ.-Augenklinik in Innsbruck arbeitete ist es in diesem einzigen Auge zu einer gefährlichen Blutung gekommen. Die Situation war dramatisch, der 15-jährige Junge ist von einem auf den anderen Tag erblindet. Ich musste diese Situation lösen. Ich wusste, es hängt von mir ab, ob dieser Mensch für den Rest seines Lebens sehend sein wird oder nicht.

KAKS: Und???

Nikolaos Bechrakis: Ich habe ihn operiert. Er ist wie gesagt heute 23 Jahre. Und studiert in England. Ab und zu schreibt er mir. Was mich natürlich sehr glücklich macht.

KAKS: Herr Professor ….

Nikolaos Bechrakis: Er kann sehen und lesen und sein Leben so gestalten wie er es möchte.

KAKS: Es ist nicht schwer, sich vorzustellen wie, dankbar Ihnen diese Familie sein muss. Wir danken Ihnen jedenfalls für das Gespräch. Mit einem fulminanten Ende. Hoffnung ist ja auch ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Wir freuen uns, Sie beim nächsten RB Treffen begrüßen zu dürfen.

Das Interview führte Sabine Kuenzel

28.01.2020 | News, Stories