Neuer Mutmacher: Bodo

Datum: 19.12.2021 | Kategorie(n): Mutmacher, News, Team

Man braucht ein Herz, gerne ein sehr großes Herz, um glücklich durch’s Leben zu kommen – aber auch bei den Augen reicht eines aus!“. Nun kennen Sie mein Lebensmotto. Ich habe schon 1973, im Alter von 3 Jahren, meine Retinoblastom-Diagnose bekommen, bin heute 51 und lebe also nun schon seit gut 48 Jahren mit meinem „Kunstauge“. Wie ich finde ein schönerer Begriff als „Glasauge“, denn der Herstellungsprozess ist einfach eine wahre Kunst. Ich habe inzwischen eine Sammlung von ca. 40 Stück dieser Meisterwerke, denn etwa alle 1 bis 2 Jahre muss die Prothese erneuert werden.

Trotz der leichten Einschränkungen durch das fehlende, rechte Auge habe ich bisher einen recht normalen Lebensweg hinter mir. Ich bin zwar kinderlos geblieben, aber das lag nicht an der Angst vor einer eventuellen Retinoblastom-Erkrankung meiner Nachkommen – es hat sich einfach so ergeben. Inzwischen bin ich immerhin Stiefvater und zweifacher Stiefopa.

Die Enukleation meines Auges passierte recht hektisch. Ich klagte im Frühjahr 1973 über Kopfschmerzen – ich war 3 Jahre alt und wollte „zum Stirndoktor“, denn ich hatte wohl schon bemerkt, dass es Ärzte für verschiedene Körperteile gibt und mir tat eben die Stirn weh… Eine Augenklinik in der Nähe von Hannover – mein Heimatort ist das 25 km von dort entfernte Neustadt am Rübenberge – diagnostiziere nicht bzw. nicht richtig und meine Eltern fuhren mit mir trotz der Beschwerden in die Ferien in eine kleine Pension in Bodenmais im Bayerischen Wald. Der aufgrund anhaltender Schmerzen aufgesuchte bayerische Dorfarzt erkannte, dass mit meinem Auge etwas im Argen ist und schickte meine Eltern mit mir unverzüglich in eine Klinik in München, wo endlich das Retinoblastom erkannt wurde. Von dort ging es sofort ins Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, wo die Operation durchgeführt wurde. Meine Eltern waren natürlich in großer Sorge. Sie besuchten mich trotz Berufstätigkeit und 170 km einfacher Entfernung mit dem alten, klapperigen „Simca 1100“ fast täglich – zu den damals noch streng geregelten Besuchszeiten… Aber alles ging gut und bald war ich wieder wohlauf.

In meiner Kindheit wurde mir immer mal ein spöttisches „Du schielst!“ nachgerufen, aber darunter habe ich nur wenig gelitten. Diesen Kindern habe ich dann gesagt, dass ich das garnicht kann und warum das so ist – und gut war’s. Ich hatte auch gute Freunde, die mich mochten und die zu mir hielten. Geholfen hat mir in meiner Jugend auch das Wissen, dass es andere, auch berühmte Menschen mit dem gleichen „Problem“ gibt, wie den Schauspieler Peter Falk (alias „Inspektor Columbo“) und den Showmaster Frank Elstner – die beiden waren meine ganz persönlichen Mutmacher. Auch im Kindergarten und in der Grundschule hatte ich keine Probleme und auch die eine oder andere erste Freundin. Nach einer Ausbildung als KFZ-Mechaniker habe ich Umwelttechnik studiert. Hierbei sei angemerkt, dass ich einäugigen Jugendlichen heute eine handwerkliche Ausbildung nicht mehr reinen Herzens empfehlen würde; das Risiko beim Arbeiten auf Baustellen oder in Werkstätten auch noch das verbleibende Auge zu schädigen ist vorhanden und sollte man sollte es durch eine andere Berufswahl vermeiden. Aber das bleibt jedem selbst überlassen – bei mir ist es ja auch gutgegangen und vielleicht ist es auch nur die Ängstlichkeit und Erfahrung des Alters, die hier aus mir spricht. Wichtig ist mir zu sagen: Auch als Mensch mit nur einem Auge steht einem uneingeschränkt „die ganze Welt offen“. Außer einer Karriere als Omnibus- oder Straßenbahnfahrer, denn der Führerschein für Personenbeförderung bleibt uns Einäugigen versagt… Parallel ersparte mir die Entfernung des Auges den Wehrdienst. Das Risiko einer Erblindung durch einen Unfall wollte die Bundeswehr nicht riskieren.

Seit dem Studium habe ich verschiedene, auch langjährige Jobs als Ingenieur gehabt und war überall geschätzt und die Wechsel des Arbeitgebers sind stets nur von mir ausgegangen. Auch im Vertrieb mit direktem Kundenkontakt und als Geschäftsführer eines Handwerksbetriebs sowie als selbstständiger Energieberater habe ich gearbeitet. Als Leiter der Gebäudetechnik bei der „Physikalisch-Technischen Bundesanstalt“ (PTB) habe ich 7 Jahre lang einen Stamm von 50 Mitarbeiter*innen geleitet. Inzwischen bin ich beim Landkreis Wolfenbüttel beschäftigt und leite hier einerseits das „Referat für Nachhaltigkeit und Klimaschutz“ und andererseits die Geschäftsstelle der „Stiftung Zukunftsfonds Asse“. In beiden Funktionen stehe ich in der Öffentlichkeit, ohne dass meine Behinderung ein Problem wäre.

Meine Freizeit ist vom Tanzsport geprägt, der großen Leidenschaft meiner Frau und mir. Wir sind Teil einer Standard-Formation aus 8 Paaren im Alter von 28 bis 72 Jahren und tanzen mit dieser fröhlichen Gruppe sogar Turniere in der 2. Bundesliga. Ein toller Sport, für den ich mich gerne auch in unserem Verein ehrenamtlich im Vorstand engagiere.

Und die Perspektive: Ich freue mich auf hoffentlich noch 20 oder 30 gesunde und lebenslustige Jahre, wie wohl jeder 51-jährige. Und jetzt das Jammern auf hohem Niveau: Mein rechtes Augenlid beginnt ein wenig zu hängen. Kein Wunder, wo es doch seit fast 48 Jahren für 12 bis 16 Stunden täglich immer über einen Glas-Fremdkörper wischen muss. Ein befreundeter Gesichts-Chirurg meinte bereits zu mir, es sei ein winziger Eingriff, wenn das Lid wirklich mal irgendwann gestrafft werden müsse. Aber das hat Zeit bis zu meiner Rente…

Die Kurzfassung:

Das Leben ist wunderbar. Und ja: Es beinhaltet immer auch Schicksalsschläge. Aber wie mal eine gute Freundin sagte: Wenn man nicht auch mal etwas zu erleiden hat, weiß man ja garnicht wie gut es einem geht! Recht hat sie. Und einen dicken Dank an den bayerischen Dorfarzt, dessen Namen ich nicht mal kenne – vielleicht wäre ich ohne ihn nicht mehr hier. Und ich hätte die letzten 48 Jahre meines Lebens nicht so unglaublich genießen können, wie ich es getan habe.

19.12.2021 | Mutmacher, News, Team